Führungskraft sein, ein klingendes Versprechen. Die Realität schaut für die Sandwich-Position im mittleren Management anders aus: Anspruchsvolle Mitarbeiter, die Ihre Führungskraft herausfordern, und ein Unternehmen, das funktionieren im Getriebe verlangt und wenig Spielraum zur Entwicklung lässt.
Gratuliere, endlich Abteilungsleiter(in)! Auf das Erklimmen dieser wichtigen ersten Stufe am Weg zur CEO sollten wir anstoßen. Mehr Gestaltungsfreiheit, um Projekte selbst zu entwickeln und erfolgreich abzuliefern. Bessere Zeiteinteilung für die eigene Arbeit, weil nicht dauernd wer Dringlicheres zum Erledigen am virtuellen Schreibtisch ablädt. Zeit, um talentierte neue Teammitglieder unter die Fittiche zu nehmen und ihnen die Unterstützung angedeihen zu lassen, die Sie selbst beim Einstieg vermisst haben.
Was ihnen die HR beim Unterschreiben des neuen Arbeitsvertrags (500 Euro brutto Funktionszulage, natürlich All-In, nichts anderes würde die Firma von ihren engagierten ManagerInnen erwarten) verschwiegen hat sind die unvermeidlichen Fußnoten, die mit der neuen Rolle im mittleren Management verbunden sind. Aber die werden Sie schnell herausfinden.
Längst vorbei sind die Zeiten, wo mit dem Karriereschritt so etwas wie ein eigenes Zimmer und eine Vorzimmerperson verbunden war, die lästige Bürokratie erledigte, Bestellung von Flugtickets und Hotelzimmern für Dienstreisen und das Kalendermanagement übernahm und gegen lästige Störungen abschirmte. Im besten Fall wird Ihre Arbeitsplatzwahl im Shared-Desk-Office von den Kolleginnen und Kollegen respektiert und Sie müssen sich nicht täglich auf die Jagd nach einem freien Schreibtisch begeben. Im postpandemischen Büro ist dank Homeoffice ohnehin viel Platz. Und Sie wollen natürlich Ihre neue Verantwortung durch Präsenz dokumentieren.
Erste Lektion beim Aufstieg in das Management: Es gibt immer noch (viele) Chefitäten über Ihnen.
Das Wichtigste zuerst: Im SAP gibt es neue Berechtigungen für Sie, Sie kennen jetzt die Gehälter in ihrem Team, dafür bleibt das Abnicken monatlicher Arbeitszeiteinträge und Urlaubsanträge bei Ihnen hängen. Dienstreisen genehmigen Sie für die anderen, Ihre eigenen muss dagegen immer noch eine Chefin oder ein Chef bewilligen. Erste Lektion beim Aufstieg in das Management: Es gibt immer noch (viele) Chefitäten über Ihnen.
Weil wir gerade beim Stichwort “bewilligen” sind: Erstaunlich, wieviel Reporting und Freigaben mit einem Führungsjob verbunden sind, der doch in erster Linie strategisches Management, exzellente Projektexekution und die Förderung junger Talente zum Inhalt haben sollte. Viel war davon die Rede bei den Workshops für neue Führungskräfte, die Sie auf Ihre neue Rolle als Manager vorbereiten sollten. Wie man wertschätzend und motivierend auf MitarbeiterInnen zugeht, konstruktives Feedback gibt, auf Belastungssymptome achten lernt, Teamstärken entwickelt. Das heißt, falls Sie das Glück solcher Schulungen hatten und nicht einfach zum Schwimmenlernen in den Managementpool gestoßen wurden, weil Ihr Vorgänger kurzfristig eine bessere Option fand.
Jetzt gehen täglich ein paar Stunden damit auf, Rechnungen freizugeben, für deren Korrektheit Sie ohnehin ihrem Team trauen müssen. Der Einkauf will in jede noch so kleine Bestellung eingebunden sein und eine verdammt gute Begründung haben, warum Sie nicht einfach den billigsten Anbieter nehmen, obwohl Sie seit Jahren mit einem verlässlichen, aber leider ein paar Prozente teureren Lieferanten nur die besten Erfahrungen einer reibungslosen Zusammenarbeit machten. Haben wir schon die monatlichen Meetings mit Ihrem Controlling erwähnt?
Sie sind jetzt auch der Überbringer schlechter Nachrichten.
Zu den schönen Aufgaben mittlerer Manager gehört zweifelsohne das “People Management” – erkennen, welche Rohdiamanten in Ihrer Abteilung sitzen, deren Stärken und Begabungen Sie für spannende Projekte einsetzen können (auch darüber wurde in Ihren Schulungen viel gesprochen). Doch spätestens, wenn Sonntagabend eine Krankmeldung per WhatsApp eintrifft und Sie plötzlich Ersatz suchen müssen für den Abschluss eines Projekts, dessen Deadline Ende nächster Woche droht, entpuppt sich die Personalführung mehr als Last denn schöne Herausforderung. Kaum zu glauben, wie viele persönliche Anforderungen Millenials, Gen Z und Väter und Mütter aller Generationen an die Gestaltung ihrer Arbeitszeit stellen, die Sie ausbalancieren sollen. Ansprüche, die Sie selbst wahrscheinlich nicht kannten, warum Sie ja auch für die Beförderung auserkoren wurden.
Sie sind jetzt auch der Überbringer der schlechten Nachricht, dass die Firma für Gehaltserhöhungen im laufenden Jahr leider kaum noch “Budget” hat. Aber, hey! Sie haben freie Hand, ob Sie der Einen oder dem Anderen ein merkbar höheres Gehalt geben wollen, oder das knappe Budget so auf alle aufteilen, dass bei keinem etwas überbleibt. Unternehmen sind selten im Spendiermodus – Sparen ist die vom Vorstand vorgegebene Defaulteinstellung. Und das setzt, abgesehen von schönen Worten im jährlichen Mitarbeitergespräch, den tatsächlichen Anerkennungen für die Leistungen Ihres Teams enge Grenzen.
Apropos Mitarbeitergespräch: Nicht selten bleibt da eine Latte an Forderungen an Sie über, die Sie enttäuschen müssen – mehr Geld (hatten wir schon), spannende Fortbildungen (sprengen leider Ihr Fortbildungsbudget), Abgabe weniger geliebter Aufgaben und so fort. Dabei haben Sie Verständnis dafür, die eigenen unerfüllten Wünsche als einfaches Teammitglied sind noch gut in Erinnerung. Zunehmend werden Ihre Mitarbeitergespräche zu anstrengenden Parcours um unzufriedene Kolleginnen und Kollegen im Team zu erhalten, weil es kaum Aussicht auf Ersatz gibt.
Hingegen schätzt Ihr eigener Chef die Möglichkeit, bei Ihrem Mitarbeitergespräch die Latte für Sie etwas höher zu hängen. Sie wissen ja: Die 120-prozentige Leistung des vergangenen Jahres sind die 100 Prozent des heurigen. Und weil Sie die Stufenleiter weiter empor klettern wollen, verkneifen Sie sich Ansprüche an eine Verbesserung Ihrer Arbeitsbedingungen. Doing more with less! So gehört man dazu.
Aber zum Glück ist dafür Ihr persönliches Zeitbudget jetzt fast unbegrenzt, weil “All-In”. Am Wochenende ist ohnehin mehr Ruhe für die Ausarbeitung von Strategien oder die Jahresplanung (Ihre Familie wird Verständnis für Ihre Verantwortung haben). Was nach einem Tag voller Meetings an Freigaben liegen blieb, geht sich am Abend noch schnell aus. Denken Sie daran, WLAN am Urlaubsort ist eine Grundvoraussetzung für die Buchung. Und was gibt es schöneres, als dank klagloser Abteilungsführung von der Chefin zum nächsten mehrtägigen Management-Offsite als “Wild Card” mitkommen zu dürfen und mit den VPs und Senior VPs am Abend an der Bar abzuhängen?
Jedenfalls: Nochmals Glückwunsch, Sie gehören jetzt zu unserem Führungskräftekreis! Unserem menschlichen Kapital, ohne dem die Firma nichts wäre. Ein Stakeholder, wenn auch noch kein Shareholder, bis zum Manageraktienprogramm braucht es noch die eine oder andere Stufe. Aber mit Ihrem Engagement und Ihrer Begabung schaffen Sie das sicher in kürzester Zeit. Reiche Belohnung winkt: Höhere Freiheitsgrade, interessantere Aufgaben, irgendwann sind Sie die Chefin. Dann können Sie endlich delegieren und sich den wichtigen Aufgaben zuwenden: Strategie, neue Produkte, People Management. Dafür lohnt es sich doch, noch ein wenig in dieser Position auszuhalten, auch wenn das Unternehmen gerade durch schwierige Zeiten geht.
Und außerdem: Glauben Sie wirklich, dass es in anderen Firmen anders ist? Eben.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in DER STANDARD Karriere.
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