Waldbrand / F: Ervins Strauhmanis

Europa brennt: So beginnt die europäische Klimamigration

Erst gehen die Touristen, weil die Hitze unerträglich wird. Dann folgen die dadurch arbeitslos gewordenen Bewohner der EU-Hitzeregionen. Der Klimawandel wird nicht nur die Richtung der Ferienkolonnen und Urlaubsflieger ändern, sondern auch zu einer innereuropäischen Migrationswelle führen.

Die griechische Insel Rhodos brennt, die größte Evakuierung der griechischen Geschichte (und der jüngeren Geschichte Europas) ist im Gang. Waldbrände zwingen Touristen und Bewohner inzwischen auch in Korfu und Euböa zu den Stränden, davor konnte ein Waldbrand auf Kreta gerade noch unter Kontrolle gebracht werden. Die Berichterstattung ist in erster Linie mit einem Thema interessiert: Wie kriegen Touristen ihr Geld zurück?

Das ist verständlich, aber es ist eine zynische Themenverfehlung. Die Touristen sind um einen Urlaub gekommen und (vielleicht) um die Erfahrung reicher, dass der Klimawandel das südliche Europa mit Hitzewellen nur noch knapp unter 50 Grad Celsius in den nächsten Jahren für Sommerurlaube buchstäblich verbrennt. Die Tragik sind nicht ein paar hundert Euro, um die Badeurlauber geschädigt sind, sondern die Existenzen, die auf den Angeboten für diese Urlauber aufgebaut sind: Zehntausende Menschen, die im Süden der EU in erster Linie von Tourismus ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Während auch hierzulande Hitzewellen zwischen 35 und 40 Grad Menschen in den Schatten ihres Gartens (so vorhanden), in die Berge oder gar aus dem Homeoffice zurück in aufgegebene klimatisierte Büros treibt, gibt es bei den Extremwerten des südlichen Europas für deren Bewohner kaum noch ein Entkommen. Nicht erst Waldbrände bedrohen Leib und Leben, Temperaturen bis zu 48 Grad (derzeit) sind lebensgefährlich. Die Gefahr des Hitzetots übertrifft in Europa bereits längst die Aussicht an Kälte zu sterben.      

Nur die Millionen Urlauber, für die eine jährliche Pilgerfahrt an die Gestade des Mittelmeers seit Kindheitstagen zum scheinbar naturgesetzlichen Lebensrhythmus gehört, haben eine Alternative: Neue Feriendestinationen im kühleren Norden, bisher ein Stiefkind des Sommertourismus. Island macht es seit vielen Jahren vor, wo Millionen Reisende die spektakulären Landschaften bei kühlen Temperaturen zwischen Juni und September erkunden. In Österreich sperren zahlreiche Hotels, die bisher nur die Skisaison bedienten, inzwischen auch im Sommer mit großer Nachfrage (und ebensolchem Personalmangel) auf. 

Dabei gehen die Folgen der Hitze weit über den Verlust einer Feriendestination hinaus. Im Süden der EU wird dies in den nächsten Jahren eine größere strukturelle Krise auslösen als die Finanzkrise 2007/2008, die in Griechenland zum Kollaps führte und Italien und Spanien an den Rande der Insolvenz brachte.

Vor der Pandemie erwirtschaftete Griechenland mit Tourismus über 20 Prozent seines BIP, in Spanien und Italien lag der Anteil nahe an15 Prozent. Dabei sind dies die über das ganze Land gemittelten Werte, in den Hochburgen des Sommertourismus wie Rhodos, Kreta oder einzelne Regionen Italiens und Spaniens ist Tourismus der Haupterwerb der Bewohner. Heuer, im ersten Jahr nach der Pandemie, sorgte der touristische Nachholbedarf (im Englischen inzwischen “Revenge Tourism” genannt) bisher für ähnliche Höhen.

Diese Entwicklung wird durch die extremen Hitzewellen im südlichen Europa gestoppt werden. Nicht von einem Jahr auf das nächste, weil die Tourismusindustrie ihre Billigangebote weiterhin mit großem Marketingaufwand unters Reisevolk bringen wird. Alte Gewohnheiten ändern sich nur langsam: Die Branderfahrung ist bis Weihnachten vergessen, bei niedrigen Temperaturen und grauen Wintertagen denken noch wenige bei ihrer Buchung daran, dass ihr Traumurlaub am Strand unerträglich werden könnte.

Die Ferienkolonnen werden neue Destinationen finden. Viele Menschen in Europas Süden, denen aufgrund des Klimawandels der Tourismus verloren geht, werden ihnen als Arbeitsmigranten folgen. / F: spu
Die Ferienkolonnen werden neue Destinationen finden. Viele Menschen in Europas Süden, denen aufgrund des Klimawandels der Tourismus verloren geht, werden ihnen als Arbeitsmigranten folgen. / F: spu

In einigen Jahren werden die Ferienkolonnen und Urlaubsflieger jedoch neue Ziele gefunden haben. Die Folgen in den betroffenen Regionen liegen auf der Hand. Fehlende Arbeitsmöglichkeiten werden zu einer Migration in die EU-Länder führen, in denen schon jetzt Arbeitskräftemangel herrscht, insbesondere in Gastronomie und Tourismus.

So beginnt die europäische Klimamigration, von den zunehmend durch unerträgliche Hitze betroffenen Regionen in die noch temperaten Zonen. Mit dem EU-Pass im Gepäck braucht es dazu keine Schlepper und wird es keine Zäune geben, um die Wanderung zu stoppen. Die wie stets nach billigen Arbeitskräften suchende Wirtschaft der Empfängerländer wird den Zuzug begrüßen. Der heimischen Wirtschaft ist zu empfehlen, besser in den Süden Europas als zu den Philippinen zu schauen.

In dieser durch den Klimawandel erzwungenen Mobilität der betroffenen Menschen zeigt sich die Qualität der EU-Freiheiten, der freien Wahl von Arbeitsmöglichkeiten und des Wohnsitzes. Zwar hatte wohl keiner ihrer Schöpfer die Klimamigration im Sinn, als diese Grundrechte für EU-Bürger etabliert wurden. Aber sie ermöglichen in den nächsten Jahren wahrscheinlich vielen Menschen, eine neue Lebensbasis zu finden, wenn der Klimawandel die bisherige zerstört. Auf EU-Ebene wird es noch viele Ausgleichsfonds brauchen, damit die betroffenen Länder diese enorme Veränderung nicht nur erleiden, sondern zumindest ansatzweise gestalten können.   

Dies soll keine Illusionen nähren, dass auf der europäischen Titanic alles ok ist. Die Europäischen Volksparteien – von den Rechtspopulisten gar nicht erst zu reden – obstruieren weiterhin notwenige Maßnahmen, um das Klimasteuer in letzter Minuten herumzureißen, siehe ihre Fundamentalopposition gegen das EU-Renaturierungsgesetz oder den Versuch, den Verbrennermotor als Kulturgut zu retten. Und die innereuropäische Migration, obwohl ein EU-Recht, wird nicht ohne Konflikte abgehen. Davon zeugen nicht nur frühere “Gastarbeiterwellen” aus Italien und Spanien nach Österreich und Deutschland. In Großbritannien verwandelten die Brexitierer die polnische Arbeitsmigration geradezu in eine Speerspitze ihres Kampfes für eine “Festung UK”. Andere Festungsbauer werden sich diese Seite der verlogenen Brexit-Kampagne in das eigene populistische Stammbuch heften.

Für die Vorbereitung auf die europäische Migrationswelle ist es bereits spät. Die vermehrte Anschaffung von Löschflugzeugen, auch in Österreich seit dem Brand zwischen Schneeberg und Rax auf der Tagesordnung, wird weder Klimawandel noch verbundene Naturkatastrophen abwenden. Der Green Deal braucht nicht nur Renaturierung und eine internationale „rescEU“-Löschflotte, sondern diese unverzichtbare Ergänzung: Green Migration.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in DIE PRESSE.

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