Eine Spannweite wie ein Airbus A380, ein Gewicht wie ein Mittelklassewagen, den Treibstoff direkt aus der Sonne: Solar Impulse

Ikarus, mit der Sonne versöhnt

Ohne Treibstoff um die Erde: Mit dieser Pioniertat will Bertrand Piccard zeigen, dass es „unmöglich“ nicht gibt. Vor fünf Jahren erzählte er im Interview mit Helmut Spudich von seinem Traum. Gestern, am 8. März 2015, hob er mit der Solar Impulse zur solaren Erdumrundung ab.

„Als wir nach unserer Erdumrundung unseren Ballon in Ägypten landeten, hatten wir noch 40 Kilogramm Flüssiggas an Bord. Gestartet waren wir mit 3,7 Tonnen Propan. Ich habe mir geschworen, bei meiner nächsten Erdumrundung werde ich nicht mehr auf Treibstoff angewiesen sein, der mir ausgehen könnte.“ 19 Tage, 21 Stunden und 47 Minuten dauerte es, bis Bertrand Piccard und sein Kopilot Brian Jones als erste Menschen der Welt den Erdball 1999 schließlich umrundet hatten. Und obwohl sie der Wind trug, waren sie auf Flüssiggas angewiesen, um den Ballon in der Luft zu halten.

Wenn der Treibstoff ausgeht: Ballast abwerfen. 1999 umrundete Piccard die Welt als Erster im Flüssiggasballon. Foto: Solar Impulse Foundation

Die Ballonfahrt ist für Piccard ein Gleichnis für die Lage des Planeten, „dem der Treibstoff ausgeht“, erklärt er im Gespräch mit dem Standard anlässlich der Innovationskonferenz DLD des Burda-Verlags vergangene Woche. Und die Haltung des Piloten ist seine Metapher dafür, was erforderlich ist, um die Krise zu meistern. „Wenn einen der Wind im Ballon in die falsche Richtung trägt, kann man nur eines tun: die Höhe wechseln, denn die Atmosphäre besteht aus verschiedenen Schichten mit unterschiedlichen Windrichtungen. Und um die Höhe zu wechseln, müssen wir Ballast abwerfen, um steigen zu können. Genau das brauchen wir auch, um die Krise der globalen Erwärmung zu meistern: Wir müssen Ballast abwerfen, Überzeugungen, Verhalten, Paradigmen, Dogmen – all das, woran wir uns in Krisen besonders klammern.“

Das Dogma, das Piccard nach seiner Ballonfahrt über Bord warf: Dass ein Flugzeug Treibstoff braucht, um die Welt umrunden zu können. „Solar Impulse“ soll demonstrieren, wovon die meisten noch vor wenigen Jahren überzeugt waren, dass es unmöglich sei: ein sonnenenergiegetriebenes Flugzeug, das aus eigener Kraft starten, Tag und Nacht fliegen und damit die Erde umrunden kann. Anfang Dezember nahm „Solar Impulse“ die erste Hürde und hob erstmals zu einem Hüpfer ab.

Ziel: Sparsamkeit

„Unsere Herausforderung ist, mit dem Energiebedarf eines elektrisch beleuchteten Weihnachtsbaums ein Flugzeug anzutreiben“, beschreibt Piccard. Dazu durfte das Flugzeug mit 64 Meter Spannweite (Fläche für die Solarzellen; entspricht einem Airbus A340) „nicht schwerer als ein Mittelklassewagen sein. Alle Flugzeugbauer sagten uns, das geht nicht, also gingen wir zu einem Bootsbauer. Der wusste nicht, dass es unmöglich sei, weil er noch nie ein Flugzeug gebaut hatte.“

Einmal rund um die Erde mit Donnerkraft: Bertrand Piccard & Andre Borshberg, die beiden Piloten der Solar Impulse. / Foto: Wiser Earth, Flickr
Einmal rund um die Erde mit Sonnenkraft: Bertrand Piccard & Andre Borshberg, die beiden Piloten der Solar Impulse. / Foto: Wiser Earth, Flickr

Im heurigen Sommer soll die nächste Etappe bewältigt werden: Auf 7000 Fuß steigen, die Akkus aufladen und „dann den nächsten Sonnenaufgang erreichen, ehe die Akkus leer sind“, sagt Piccard.

Ölabhängigkeit

„Bei der Klimakonferenz in Kopenhagen wurde nur über die Umwelt, den Klimawandel und die Kosten geredet, um dieses Problem zu lösen. Aber unser Hauptproblem ist unsere Ölabhängigkeit. Einerseits sind wir vom Preis eines begrenzten Guts abhängig, der nur nach oben gehen kann. Andererseits gibt es erneuerbare Energien, deren Preis nur nach unten gehen kann. Dazwischen stecken wir in unserer konventionellen Denke fest“, sagt Piccard. „Die Gefahr unserer Ölabhängigkeit ist, dass unser Wirtschaftssystem viel früher kollabiert, als das Eis am Südpol schmilzt. Firmen wie GM sind nicht wegen der Finanzkrise pleitegegangen, sondern weil sie am Höhepunkt des Ölpreises Autos bauten, die zu viel Treibstoff verbrauchten.“

„Wir müssen uns völlig umstellen. Das Problem ist, wir haben diese Technologien, aber wir verwenden sie nicht.“ Diese Botschaft will Piccard mit „Solar Impulse“ befördern. Entwickeln, fliegen und darüber reden sieht er darum als gleichwertige Teile seines nunmehr seit zehn Jahren betriebenen 70-Mio.-Euro-Projekts.

Keine Luftfahrt-Revolution

Ein Ziel, das er nicht verfolgt: „Die Luftfahrt revolutionieren.“ Zwar werde auch die Solartechnologie Anwendungen in der kommerziellen Luftfahrt finden. Aber um bis 2050 emissionsneutral zu sein – das Versprechen des Luftfahrtverbands IATA, ein Entwicklungspartner von „Solar Impulse“ -, brauche es andere Mittel. Das unmittelbar wichtigste: staatliche Abkommen, um Fliegern zu erlauben, direkte Routen zu fliegen. Die jetzige Rücksichtnahme auf zahlreiche Sperrgebiete würde für mindestens zehn Prozent des Treibstoffverbrauchs verantwortlich sein. Andere Entwicklungen, die Piccard für die Luftfahrt sieht, sind Gewichtsreduktion von Flieger und Last („jede Glasflasche kostet zusätzliches Kerosin“), effizientere Triebwerke und neue Antriebssysteme wie Biotreibstoffe oder Wasserstoff.

Tradition

Seine persönliche Antriebskraft bezieht der Schweizer Pionier aus der Familiengeschichte. Großvater Auguste, ein Physiker der die Druckkabine erfand, erblickte als erster Mensch der Welt die Krümmung des Erdballs, als er mit seinem Ballon bis auf knapp 17 Kilometer Höhe in die Stratosphäre stieg. Vater Jacques trieb es in die umgekehrte Richtung: Am 23. Jänner vor 50 Jahren tauchte er mit seinem U-Boot „Trieste“ im Marianengraben im Pazifik rund elf Kilometer tief.

„Es war Teil meiner Erziehung, zu forschen und Dinge auszuprobieren, die angeblich unmöglich waren“, sagt Piccard, der Medizin studierte und Kinderpsychiater wurde, während er gleichzeitig mit allem in die Luft ging, was fliegen konnte. „Als Kind hatte ich Jules Verne daheim, Kapitän Nemo war mein Vater. Die ,Helden‘ meiner Kindheit waren Freunde meines Vaters, die uns besuchten, wie Wernher von Braun oder die US-Astronauten des Apollo-Programms, Taucher, Entdecker, Umweltschützer. Diese Leute waren meine Vorbilder, ich wollte einfach so sein wie sie.“

(Diese Geschichte erschien am 3. Februar 2010 in Der Standard, Wien)

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