Im Anfang waren die Pinguine. Mit stoischem Gleichmut drehten und reckten sie ihre goldgelb geschmückten Köpfe, in Grüppchen zu vieren, einzeln oder größeren Ansammlungen, um die rotgejackten Menschen in ihren Gummistiefeln zu begutachten, die hier in Salisbury Plain auf den Südgeorgischen Inseln zum ersten Mal Land auf ihrer antarktischen Reise betraten.
Mit gestärkter weißer Brust, schwarzem Frack und goldgelber Krause schienen die Königspinguine nur wenig von den fremden Wesen irritiert, hielten allenfalls kurz in ihrem watschelnden und doch anmutigen Gang inne, um umso unbeirrter ihrem Geschäft nachzugehen. Dieses bestand gegen Ende des antarktischen Sommers darin geduldig den Wechsel ihrer Daunenfedern abzuwarten und ihre tollpatschig großen Jungen die letzten Wochen durchzufüttern, ehe sich diese aus ihrem braunen Federflaum in Pinguinfrack und Selbstständigkeit schälen würden.
Die Pinguine sollten auf dieser Reise in die letzte große Einsamkeit, die es auf diesem Planeten gibt, unsere beständigen Begleiter vom ersten bis zum letzten Landgang sein. Auf den Südgeorgischen Inseln, wo sich die beiden größten Kolonien von Königspinguinen befinden mit 60.000 und unfassbaren 150.000 Brutpaaren, ein unvergessliches Schauspiel. Zur See, wenn sie neben dem Schiff auftauchten um Luft zu holen und wieder abzutauchen, „um den rötlichen Krill aufzunehmen, der die Grundlage der antarktischen Nahrungskette ist“, erklärt Eckhart Pott, der als erfahrener Wildbiologe Teil des Expertenteams auf der MS Bremen ist. Auf Eisbergen, wo die Frackträger in kleinen Gruppen herumstehen und man sich fragt, wie sie dort je hinaufkamen. Auf kleinen felsigen Inseln, weiß vom vertrockneten Kot der Tiere. Die Könige, „die drei Musketiere Esels-, Zügel- und Adeliepinguine“, sagt Pott, und die Goldschopfpinguine, laut Pott dank „verwegenem gelben Haarschopf die Punks in der Familie“: Durch die exzellenten Vorträge an Bord und Tagen der Beobachtung lernten wir bald treffsicher die hier lebenden Pinguinarten zu unterscheiden.
Doch blenden wir zurück zum Start der 20-tägigen Schifffahrt in die Antarktis. In Ushuaia, dem Ende der besiedelten Welt an der Südspitze Argentiniens, nimmt die MS Bremen die 142 Passagiere auf, die sich zu dieser Expeditionsreise entschlossen haben. Was für die Entdecker, Abenteurer und Forscher noch vor einem Jahrhundert eine Wette gegen den Tod war lässt sich heute sicherer und komfortabler an: Unser 111 Meter langes Schiff ist als „Eisklasse 4“ klassifiziert, um dem Packeis zu trotzen, das selbst im antarktischen Sommer die See teilweise bedeckt. Neun Tonnen an Vorräten werden an Bord verfrachtet um den Komfort eines Viersternhotels zu bieten. 104 Crewmitglieder sorgen für sichere Fahrt und exzellentem Restaurantbetrieb selbst bei Windstärke 10.
Nachdem die MS Bremen den schützenden Beagle-Kanal verlassen hat ist an den drei Seetagen zu den 2000 Kilometer entfernten Südgeorgischen Inseln doch zu erahnen, was diese Region für Entdecker wie Walfänger so gefährlich gemacht hat. Ein Sturmtief mit bis zu zehn Meter hohen Wellen holt das Schiff ein. „Eine Hand für Sie, eine Hand für das Schiff“ ist die Merkregeln von Kapitän Ulf Sodemann, soll heißen: Immer gut festhalten. Am dritten Tag werden die Stühle im Restaurant mit dem Boden verschraubt. „Mit Windstärke Beaufort 10 dürfen Sie daheim schon ein bisschen angeben“, verwandelt der Kapitän die Sorge mancher in ein Abenteuer.
All das ist angesichts der ersten Königspinguine auf South Georgia rasch vergessen. Vom Schiff werden die Passagiere zeitlich gestaffelt in Gruppen zu Acht auf Zodiacs ausgebootet um unter der Expertise von Expeditionsleiter und wissenschaftlichen Begleitern Land, Eis, Tiere und die Spuren menschlicher Aktivitäten in der Antarktis auf dieser Reise zu erkunden. Norwegische Walfänger errichteten im 19. Jahrhundert ihre Stationen auf Südgeorgien, ganze Raffinerien zur Verarbeitung des Walöls, die als Denkmäler menschlicher Zerstörungskraft überblieben. „Der norwegische Kapitän Carl Anton Larsen, der 1904 Grytviken gegründet hat und auch seine Frau und sieben Kinder herholte, hat die Insel 1914 als reicher Mann verlassen“, beschreibt Hans-Joachim Lauenstein, der Historiker im Expertenteam.

Heute gibt es in der Antarktis etwas mehr als 50 Forschungsstationen. In einem seltenen Moment der Vernunft hat das Dutzend Nationen, die Gebietsansprüche auf den 13 Millionen Quadratkilometer großen eisigen Kontinent stellen, im Antarktisvertrag 1959 bis auf weiteres auf Aufteilung und Ausbeutung verzichtet. Eine positive Folge des Antarktisvertrags sind auch Beschränkungen des Tourismus in der Region. Nur Schiffe unter 200 Passagieren dürfen auch an Land gehen, unter Beachtung strenger Auflagen.
Bei 66 Grad und 33 Minuten Süd ist schließlich der Südpolarkreis erreicht und überschritten. Die Route dorthin führt zu den Südorkneyinseln und der ältesten dauerhaft genutzten Station, den argentinischen Orcadas; in die riesige Kaldera eines früheren Vulkanausbruchs auf Deception Island; durch die verschlungenen Wasserstraßen des Errera und Lemaire Channel an Eisbergen, Inseln und Buchten vorbei. Das Land besteht längst nur noch aus mannigfaltigem Gestein, Eis, und schroffem Fels, wenn das Gebirge selbst für Schnee und Eis zu steil ist um sich festzuhalten. Immer häufiger, immer näher am Schiff sind die Eisberge, durch die die MS Bremen steuert. Der größte, dem wir unterwegs begegnen sollten, trägt den Namen A57A und ist 19 Kilometer lang, 11 Kilometer breit. „Seit zehn Jahren umrundet er in der Strömung des Südpolarmeers den Kontinent“, erklärt Torsten Prietz, unser Expeditionsleiter und promovierter Physiker. Auch nach vielen Stunden und Tagen Beobachtung von Deck nimmt das Staunen über immer andere Perspektiven und bizarre Formen der Eisungetüme ebenso wie hunderte Schattierungen von Blau nicht ab.
Port Lockroy ist schließlich der letzte Landgang, der auf einen kleinen Felsen führt. „Von 1944 bis 1962 sammelte hier die britische ,Base A‘ meteorologische Daten“, sagt Historiker Lauenstein. Heute ist die frühere Station Museum, königlich britisches Post Office und kleiner Souvenirshop, in dem im antarktischen Sommer vier Personen ohne Fließwasser ausharren. Noch einmal drängen sich Eselspinguine dicht um die Besucher, Zeit für die Jungen vor Winterbeginn selbstständig zu werden. Vier Tage nachdem wir von hier aus über die Drake Passage nach Ushuaia zurück segeln wird auch die Station für den antarktischen Winter dicht machen.
Reise-Information:
Deutschsprachig geführte Expeditionsreisen in die Antarktis veranstaltet Hapag-Lloyd (https://www.hl-cruises.de). Die 20-tägige Reise ab Ushuaia im südlichen Argentinien kostet mit An- und Abreise ab 13.700 Euro, Reisezeiten sind Mitte November bis Ende Februar. Bei Hurtigruten (https://www.hurtigruten.de/reiseziele/antarktis/) sind Reisen auf Englisch geführt, eine 23-tägige Schifffahrt ab Ushuaia kostet exkl. Internationaler Anreise nach Buenos Aires ab 11.400 Euro. Bei Preisvergleichen sind Kabinengrößen und -lagen zu beachten, da hier wesentliche Unterschiede bestehen.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in den Salzburger Nachrichten.
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